Interview mit Günther Hujara - FIS Renndirektor

Günther Hujara, 49, seit 26 Jahren im Weltcup. Davon 12 beim internationalen Skiverband (FIS). Seit zehn Jahren Renndirektor bei den Herren. Bis zu den olympischen Spielen von Nagano (1998) zusammen mit Sepp Messner, dann mit Helmuth Schmalzl.

Wieviel Abfahrten haben Sie schon betreut?
Als Renndirektor habe ich zwischen Weltcup, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen an die 100 Abfahrten durchgeführt.

Wie sehen Sie die Entwicklung im Abfahrtssport?
Die Entwicklung ist wie ein Spiegel. Zuerst sieht man sich- und dann den Spiegel. Zwei Dinge, die aufeinander zulaufen. So führt die Streckenvorgabe zur Verbesserung des Materials. Die Materialentwicklung beeinflusst die technischen Fertigkeiten und den Stil. Zur Verbesserung der Technik braucht es eine starke Physis. All das zusammen wirkt sich wiederum auf die Kurssetzung und die Veränderung der Streckenprofile aus. Es ist wie ein Ping Pong-Spiel, das immer abläuft, wenn man Richtlinien vorgibt, um die jeweilige Partei (Athleten, Trainer, Industrie, OK) zur Einhaltung von Maßen zu bringen. Jede dieser Parteien lässt sich immer wieder neue Vorteile einfallen. Es ist also wie ein Teufelskreis.

Worin liegt der Reiz der Abfahrt?
Als Verantwortlicher Renndirektor sehe ich das natürlich aus meinem Blickwinkel. Wir müssen alle Voraussetzungen schaffen, uns einbringen, damit die Athleten Leistungen bringen können. Der Reiz liegt darin bei Höchstgeschwindigkeiten Passagen zu meistern, die viele für unmöglich halten.

Also immer schneller, höher, weiter?
Die Strecken wurden verbessert und um vieles berechenbarer. Die athletische Ausbildung steht in vielem viel höher als dies früher überhaupt möglich war. Überhaupt: Die Menschheit macht insgesamt eine große Entwicklung durch. Wir brauchen nur einen 50jährigen Menschen gestern und heute vergleichen, dann sehen wir den Unterschied. Die Lebensqualität und die Medizin spielen da eine große Rolle. Und diese Entwicklung spiegelt sich in allen Sportarten. Die Entwicklung des Materials unterstützt diese Prozesse. Sogar Ottonormalverbraucher kann heute die Abfahrten besser bewältigen als früher.

Können Sie ein Beispiel für die großen Veränderungen nennen?
Wenn Bernhard Russi heute mit einem Overall und der Kamera in Wengen die Lauberhornabfahrt hinunterfährt, dann erzielt er eine Zeit, die ihm während seiner aktiven Laufbahn dreimal den Sieg gebracht hätte. Dies zeigt die Entwicklung der Abfahrt deutlich auf. Jeder kommt mit den gegebenen Komponenten zu weitaus besseren Ergebnissen als früher. Dies jedoch mit einem größeren Aufwand.

Welche Fragen stellen Sie sich in Punkto Sicherheit?
Die Verantwortlichen stellen sich die Frage: Wie können wir die Strecken so herrichten, dass bei einem Sturz so wenig wie möglich passiert? Wir können nicht beliebig verbreitern, Sprünge wegnehmen, Radien verkürzen (und das wollen wir auch nicht). Die Abfahrten sollen weiterhin technisch anspruchsvoll sein, damit die Läufer ihr Potential voll abrufen können. Mündige Athleten werden nicht vom Start hinausgeschmissen, sondern betreiben ihren Beruf und sind sich des Risikos bewußt, dass sie dabei eingehen.

Nachdem die Durschnittgeschwindigkeit (nicht die Spitzenge- schwindigkeit) in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, ist die Bremswirkung geringer. Wir müssen also die Kurssetzung so auslegen, dass eine geringere Gesamtzeit zustande kommt. Dies muß man den Leuten klar machen.

Letzte Saison wurde sehr viel über Sicherheit diskutiert. Was stört Sie dabei?
Mich stört die Scheinheiligkeit der Diskussion. Jeder möchte, wenn er den Fernseher einschaltet, den "Prickel" unterstrichen haben. Wie in der Formel 1. Wenn aber etwas passiert, dann sind es genau jene die sagen, es sei alles zu gefährlich. Wir sind uns bewusst, das der Rennsport das Risiko beinhaltet. Das heißt aber nicht, dass wir die Gefahren sozusagen fatalistisch anerkennen.

Wie leben Sie die Verantwortung als FIS-Renndirektor?
Entweder Du hast Verantwortung, fühlst sie, oder Du lässt es bleiben.
Helmuth und ich haben den Athleten glaubhaft machen können, dass alles gemacht wurde für die Sicherheit.
Uns beschäftigt der Gedanken: welche Chancen haben wir auf Stürze richtig zu reagieren? Wir sind aufgerufen, zusammen mit der Industrie, das Beste zu entwickeln. Aber nicht erst darauf zu reagieren, wenn etwas passiert. Dies bedeutet einen wahnsinniger organisatorischen Arbeitsaufwand, um alle Faktoren unter einen Hut zu bringen, die diskutiert werden.
Dazu kommt, von Seiten der OK´s, der Kostenfaktor. Wir führen jährlich Inspektionen durch, die Materialien werden im voraus festgelegt.
Helmuth Schmalzl, ich und die OK´s sind uns aber sicher, dass wir zu jedem Zeitpunkt am besten und am sichersten arbeiten, so wie es die Bedingungen vorgeben. Meine und Helmuth Schmalzls Aufgabe ist es alles nur mögliche vorauszudenken.

Gröden stand nach Beltramettis Unfall in Val d´Isère im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Wie sind Sie, als Renndirektor, mit dieser Situation zurecht gekommen?
In Gröden fand 2001 die erste Abfahrt nach Beltramettis Sturz in Val d´Isère statt. Alle Beteiligten versuchten dort eine erste Aufarbeitung des Unglücks. Und da gibt es mehrere Vorteilsgemeinschaften. Einige haben versucht, das Problem Sicherheit auf die Verantwortlichen der FIS abzuwälzen. Da war die Diskussion um die mit Wasser präparierte, im oberen Teil vereiste Piste, die einen Skiverschleiß zur Folge hatte. Ich sage, jeder muß da seine Verantwortung übernehmen. In einem solchen Fall geht es beispielsweise darum, die adäquatesten Skier zu wählen und nicht die schnellsten. In der Formel 1 verwendet man bei Regen ja auch nicht Slicks, um schneller zu fahren, sondern Regenreifen. Doch wir müssen eine Entscheidung für den Sport und nicht für eine Vorteilsgemeinschaft treffen. Die Diskussion ist aber immer latent da.

Bekommen Sie bei Ihrer Arbeit auch Komplimente?
Das größte Kompliment, beispielsweise nach Beltramettis Sturz war, dass mich die Läufer nie angegriffen haben, denn sie waren überzeugt, dass wir ja das Beste für sie machen. Es herrscht also ein großer Konsens, eine Übereinstimmung über die angepeilten Ziele. Wir müssen allen Parteien (Athleten, Trainer, Verantwortliche, OK) die Möglichkeit geben, das Optimum für den Sport zu tun.
Wir müssen eine klare, zielgerichtete Arbeit durchführen. Das ist Filigranarbeit. Und diese Arbeit beinhaltet auch Lösungen. Es gibt diesbezüglich keinen besseren und konsequenteren "Arbeiter" als Helmuth Schmalzl. Ich bin stolz ihn als Partner zu haben.